2024, Aktuelles, Im Fokus, Interview, Sage & Schreibe Nr. 38, Zukunft

Zukunftsforschung? Zukunftsforschung! 

Die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Zukunft ist ein verhältnismässig junger Forschungszweig. Die Zukunftsforschung versucht Trends und Entwicklungen in den Bereichen Gesellschaft, Wirtschaft oder Innovation frühzeitig zu erkennen, damit uns die Zukunft nicht unvorbereitet trifft. – sage&schreibe hat mit der renommierten Zukunftsforscherin Karin Frick vom Gottlieb Duttweiler Institut gesprochen und unter anderem gefragt, wie genau man etwas erforscht, was es noch gar nicht gibt.

Von Leonie Kihm und Luisa Dambach, G21K

Das Zoom-Gespräch mit Karin Frick kommt schnell in Gang, denn unsere erste Frage zielt auf den Kern ihrer Arbeit: Wieso eigentlich Zukunftsforschung? Wir sind doch oft schon mit der Gegenwart überfordert. Karin Frick antwortet ohne zu überlegen: «Das Leben von uns allen findet in der Zukunft statt; deshalb ist die Beschäftigung damit lohnenswert.» Dagegen ist nichts einzuwenden. Aber wie geht man dabei vor? Die Zukunft vorauszusagen, erklärt sie, sei nicht immer einfach und auch nicht zuverlässig. «Doch nichts fällt einfach so vom Himmel. Es gibt für alles einen Verlauf, es sei denn, Naturkatastrophen, Pandemien oder Kriege kommen ins Spiel.» Karin Frick sagt, die Zukunftsforschung sei wie die Geschichte, nur umgekehrt eben. Und lachend fügt sie an, Historikerinnen und Historiker wären ihrer Meinung nach die besten Zukunftsforscherinnen und Zukunftsforscher, weil sie sich eben mit dem Verlauf der Ereignisse auskennen. Zukunftsforschung mit Anlauf, gewissermassen.

Trotz der Verläufe gibt es Bereiche, in denen sich Prognosen schwieriger gestalten als in anderen. Während Prognosen beispielsweise aufgrund von Wetterdaten, also kurzfristige Prognosen, einigermassen einfach und mit ziemlich grosser Genauigkeit erstellt werden können, ist es schwierig, wenn nicht sogar unmöglich, Verläufe zu antizipieren, die von menschlichen Entscheidungen abhängig sind. Karin Frick nennt als Beispiele die Entwicklung von Märkten und die Börse. «Wenn wir wüssten, wie sich die Börse entwickelt, dann würden wir alle jetzt gleich investieren oder verkaufen – und wären morgen reich.» Die Aufgabe der Zukunftsforschung besteht also vielmehr darin, Unternehmen und Organisationen im Hinblick auf künftige Entwicklungen zu beraten, zu unterstützen und so auf die Zukunft vorzubereiten. «Für Organisationen und Unternehmen ist es ein Muss, sich mit der Zukunft zu beschäftigen. Alles andere wäre riskant und nicht verantwortungsbewusst», erklärt Karin Frick mit Nachdruck. «Wenn ein Unternehmen längerfristig erfolgreich sein möchte, dann muss es sich zwingend mit der Zukunft beschäftigen. Auch wenn dies immer auf mehr oder weniger gesicherten Annahmen beruht.» Das klingt reichlich vage, aber Karin Frick doppelt nach: «Es ist wie bei uns Menschen: Wir entscheiden uns für eine Partnerin oder einen Partner, weil wir annehmen, dass diese Beziehung uns auch in Zukunft weiterbringen und glücklich machen wird. Absolute Sicherheit aber gibt es keine – Zukunftsforschung hin oder her.»

Wenn Karin Frick Trends analysiert und neue Prognosen aufstellt, dann befasst sie sich mit vielen verschiedenen Aspekten. Zum einen weiss sie, dass ein Trend in der Regel nicht linear verläuft. Also gilt es die bisherige Entwicklungslinie des Trends zu analysieren: Woher kommt der Trend? Wie alt ist er? Wie hat er sich entwickelt bis heute? Hat er das Potential, weiter zu wachsen? Weshalb ja? Weshalb nein?

«Die Schweiz ist weniger anfällig für Extremismus»
Wir leben gerade in sehr komplizierten Zeiten, auch in der Schweiz – trotzdem bleibt Karin Frick optimistisch. Sie ist davon überzeugt, dass die Schweiz ein Regierungssystem besitzt, in welchem extreme Positionen kaum Mehrheiten gewinnen können. «In der Schweiz», sagt sie, «werden radikale Positionen schneller ausgeglichen, was bis zu einem gewissen Grad vor Extremismus mit destruktiven Folgen schützt.» Extremistische Haltungen können natürlich sozusagen in die Schweiz importiert werden; früher oder später aber sollten solche Entwicklungen von unserem direktdemokratischen System wieder ausgeglichen oder wenigstens abgebremst werden.

Bild: Jessica Berger

Kultur im Wandel
Und die Gesellschaft, die Kultur im weitesten Sinn? Für Karin Frick sind Kultur und Gesellschaft etwas Dynamisches, das sich in ständigem Wandel befindet, auch wenn wir das meistens erst nach ein paar Jahren bemerken. Sie erzählt uns, dass ihre Kindheit ganz anders aussah als die ihrer eigenen Kinder, sei es in Bezug auf die Familienkonstellation oder das typische Mittagessen. Den Begriff «vegan» etwa gab es zu ihrer Zeit noch gar nicht. Karin Frick prognostiziert allerdings, dass es noch einige Jahre dauern wird, bis sich die veganen Fleischalternativen zu echten Kulturgütern entwickeln. In Sachen Familienkonstellationen ist heute alles bunter und diverser. Die Kultur einer Gesellschaft verändert sich eben, weil sich die Bedürfnisse und Werte der Menschen verändern. Die aktuellen Entwicklungen in Bezug auf zentrale gesellschaftliche Werte wie Diversität oder Achtsamkeit bezüglich Klima sind also längst nicht abgeschlossen. Ob sich alles linear entwickelt oder ob es Gegentrends geben wird, ist allerdings noch nicht zu sagen.

Wirtschaftliche Probleme
Die aktuellen wirtschaftlichen Probleme sind laut Karin Frick nicht dramatisch. Denn Probleme ziehen automatisch neue Bedürfnisse nach sich, und somit kurbeln Problemlösungen immer auch die Wirtschaft an. Karin Frick nennt den Fachkräftemangel. Zweifellos ein Problem, doch Frick ist überzeugt, dass die Generation Z davon profitieren wird. Da junge Arbeitskräfte sehr begehrt sind, werden diese Bedingungen stellen können, welche zu einem höheren Lohn führen. Diese Lohnerhöhungen werden die Erhöhung der Krankenkassenprämien oder die allgemeine Inflation ausgleichen können. Ausserdem, sagt Frick, werde die Generation der heutigen Jugendlichen in den nächsten Jahren viele neue Technologien entwickeln. Talentierte und innovative Köpfe werden deshalb ganz besonders gefragt sein.

Künstliche Intelligenz – das Denken der Zukunft
Ein Gebiet, das unsere Zukunft in fast jedem Sektor prägen wird, ist die Künstliche Intelligenz. KI wird das Leben noch mehr vereinfachen, ist Frick überzeugt. «Bis zu einem gewissen Grad wird KI sogar das Denken für uns übernehmen. Das mächtige Instrument kann uns allerdings auch heute noch unerkannte Probleme bereiten. Wichtige Fragen stellen sich für uns etwa in Bezug auf den Output von KI. Stimmt das, was KI uns als Lösung ausspuckt? Wie kommt KI zu den Lösungen? Werden wir durch die Künstliche Intelligenz gar manipuliert? Eine gewisse Gefahr sieht Frick auch darin, dass sich der Mensch aufgrund seiner Trägheit zu sehr auf die KI verlässt und dabei das eigene Denken vernachlässigt. Und gibt es so etwas wie einen Super-GAU? Für Karin Fricks Antwort klingt schon fast apokalyptisch: «Ein flächendeckender Stromausfall in der heutigen Zeit hätte zweifellos gravierende Folgen; ein Ausfall von KI in Zukunft würde allerdings einen Stillstand der Welt bedeuten.»

Karin Frick studierte Ökonomie an der HSG St. Gallen und arbeitet heute als Zukunftsforscherin am Gottlieb Duttweiler Institut in Zürich. Als Principal Researcher und Speaker analysiert sie Trends und Gegentrends in Wirtschaft, Gesellschaft und Konsum und stellt kontinuierlich neue Prognosen auf.

Bild: zVg